Braunkohletrio: Ideen für die Zukunft des Rheinischen Reviers sind mittels Bürgerbeteiligung gefragt

Umweltschützer üben Kritik am bisherigen Verfahren

Ideen für die Zeit nach dem Braunkohleabbau waren bei der Bürgerbeteiligung zum Strukturwandel im Rheinischen Revier gefragt. Viel Kritik aber erntete das Bürgerbeteiligungsverfahren zum Wirtschafts- und Strukturprogramm am Samstagmorgen, 26. September 2020 von Beginn an.

Noch im Eingangsbereich beklagte der Bergheimer Grüne Peter Hirseler eine fehlende, breite Öffentlichkeit und mangelnde mediale Begleitung eines Verfahren, bei dem es entscheidend um Zukunftsgestaltung und die Mitsprache für Verteilung von Milliarden Euro für möglichst nachhaltige Projekte in der heutigen Braunkohlenregion gehe.

Ganz unterschiedliche Positionen an einem Tisch

Wegen der Corona-Schutzauflagen waren nur etwa 50 Teilnehmer im Medio Rhein-Erft zugelassen. Die„Zukunftsagentur Rheinisches Revier“ hatte eingeladen und die Kommunikationsagentur „Zebralog“ mit der Durchführung der Bürgerbeteiligung beauftragt. Bereits zwei Termine mit Bürgern hatte es im September in den Tagebau-Anrainerkommunen Mönchengladbach und Inden bereits gegeben.

Die Motivation der Teilnehmer war ganz unterschiedlich. „Ich lebe und arbeite hier. Ich möchte die Zukunft mitgestalten, aber auch dazu beitragen, dass nicht immer RWE an allem schuld ist“, sagte eine junge Mutter, eine Teilnehmerin der Revier-Werkstatt. Einer sagte, er habe die „Laberei satt“, es müsse endlich „Butter bei die Fische“, die eigentliche Maßgabe zur Zukunftsgestaltung müsse die des Weltklimarates zur Reduktion des Kohlendioxids sein.

Chance zur Mitgestaltung oder unglaubwürdiges Verfahren?

Eine Chance für die Mitgestaltung der Region, nämlich das „Unheil des Braunkohlebergbaus“ wieder gut zu machen und in Ordnung zu bringen, sah Nicole Gabor aus Quadrath. Sie ist Referentin für Nachhaltigkeit im Diözesanrat der Katholiken in Aachen.

An Tischen zu so genannten „Zukunftsfeldern“ mit Bezeichnungen wie „Energie und Industrie“, „Ressourcen und Agrobusiness“, „Innovation und Bildung“ sowie „Raum und Infrastruktur“ begrüßte die Teilnehmer Jorin Hamacher als Geschäftsführer der Zebralog, der Agentur für Beteiligungsprozesse im Auftrag der „Zukunftsagentur Rheinisches Revier“.

Aber noch bevor es zur Kleingruppen-Arbeit kommen konnte, äußerte Jutta Schnüttgen-Weber, Naturschützerin in der Kerpener „Initiative nachhaltiger Strukturwandel“ ihre Zweifel am bekundeten Willen, Ideen aus der Bürgerschaft wirklich zu berücksichtigen. Wer garantiere denn, dass die einmal gefassten Ideen auch wirklich den Weg in die Umsetzung finden würden? Zumal aus Pressemitteilungen der „Zukunftsagentur  Rheinisches Revier“ zu entnehmen sei, dass die Zukunftsagentur ohnehin schon vorgeprescht sei und bereits 83 Projekte als förderungswürdig ausgelobt habe, ergänzte Stephan Mertens den Hintergrund für die skeptische Haltung der Kerpener Naturschützer.

Näheres dazu kann man hier auf der Website der Klima-Allianz nachlesen.

Peter Hirseler wählte aus Protest gegen die Formulierung „Ressourcen und Agrobusiness“ lieber gleich den Tisch zum Thema „Innovation und Bildung“. „Das Wort Agro klingt für mich zu sehr nach Aggression. Außerdem geht es dabei zu sehr um die Belange der industriellen Landwirtschaft und weniger um die Chancen des biologischen und ökologischen Landbaus. Dazu hätte ich ein paar Ideen.“, sagte Hirseler.

Programm wird als erster Entwurf gesehen oder als zu starker Aufschlag

Es waren Kritikpunkte, die sich grundsätzlich an einem 180 Seiten starken Buch entzündeten, dem „Wirtschafts- und Strukturprogramm für das rheinische Revier 1.0“, kurz WSP. Bereits im Dezember war es von der „Zukunftsagentur Rheinisches Revier“ vorgestellt worden.

Einen ersten Entwurf, verfasst von „Fachleuten aus der Region für die Region“ nannte es Projektmanagerin Nicole Kolster. Einen „zu starken Aufschlag“, der die Marschrichtung der Industrie nach dem Motto „weiter so wie bisher“ bereits vorgebe, nannte es Antje Grothus.

Zebralog-Geschäftsführer Jörin Hamacher und die Spurmitlgieder Eberhard Krug und Antje Grothus (v. l.)

Grothus verlangt dem WSP aber ein umfassenderes Leitbild zu Fragen ab wie „Wie wollen wir zukünftig leben?“ und „Wohin soll die Reise gehen?“ Als Beobachterin und Mitglied der „Spurgruppe“, also derer, die die Umsetzung des Förderverfahrens begleiten, reflektieren und fördern sollen war die ehemalige Vertreterin der Region in der Kohlekommission eingeladen.

Grothus äußerte die Befürchtung, dass die Bürgerbeteiligung in ihrer derzeitigen Form eine Alibifunktion für einen Maßnahmenkatalog einnehmen könne, der lediglich den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen beinhalte. Immerhin finde sich im Aufsichtsrat der „ZukunftsagenturRheinisches Revier“ neben Kommunen, Industrie- und Handwerkskammern, das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie selbst und der Energiekonzern RWE, nicht aber Umweltschutzverbände, Kirchen oder  beispielsweise Vereine, die Belange der Jugend vertreten würden.

Vorläufiges Drehbuch

Nicole Kolster beschrieb das WSP als vorläufige Version eines Drehbuches nach dem Fördergelder des Bundes für Projekte beurteilt und abgerufen werden können. Ein Drehbuch, das nach erster Anhörung der Bürger auf die Version 1.1 ergänzt werden müsse.

Kolster versicherte, Zebralog gehe mit den Ideen der Bürger „sorgfältig“ um und werde in ausführlichen Berichten Rechenschaft ablegen, warum Eingaben berücksichtigt worden seien und andere nicht. Ganz am Anfang eines jahrzehntelangen Prozesses stünden die Menschen im Revier, darum sei eine „Verstetigung“ des Mitbestimmungsprozesses angestrebt, der ein Prozess des Miteinanders sein solle, formulierte die Projektmanagerin.

Eine „gute Atmosphäre mit sehr kooperativen Gesprächen“ beschrieb Eberhard Krug die spätere Stimmung der Diskussions- und Arbeitsprozesse an den Tischen. Der Schatzmeister des Kölner Bezirksvereins der Deutschen Ingenieure war als zweites Spurmitglied geladen worden. Die Gespräche fanden unter der Beteiligung von Fachleuten statt. Gekommen waren Jürgen Beigel (Energie), Alexander Opitz (Industrie), Benjamin Casper (Raum), Inga Maubach (Bildung und Innovation) Ruth Haumann (Ressourcen und Agrobusiness).

Schon am Samstag einigte man sich auf Änderungen im WSP. Das so genannte „Zukunftsfeld Ressourcen und Agrobusiness“ soll jetzt umbenannt werden. Breite Zustimmung erntete übrigens die Einführung eines kostenlosen Nahverkehrssystem – eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft.

Zum Weiterlesen hier das „Wirtschafts- und Strukturprogramm für das rheinische Revier 1.0“ zum Download und die Website der Zukunftsagentur

Als nächste Station der Bürgerbeteiligung gilt voraussichtlich das Revierforum am 2. November 2020 in Hürth.

3 Antworten auf „Braunkohletrio: Ideen für die Zukunft des Rheinischen Reviers sind mittels Bürgerbeteiligung gefragt“

  1. Lieber Oliver,
    danke für Deinen Bericht über diese Bürgerwerkstatt, der die Stimmung vieler Beteiligten widerspiegelt. Dieses Format ist m.E. eine Form, sich in den Strukturwandelprozess einzubringen. Es gibt darüber hinaus weitere Wege, wie z.B. den Weg der Allianz für nachhaltigen Strukturwandel e.V.i.G. (ANSEV), die sich auf die Fahne geschrieben hat, Alternativen zu dem WSP 1.0 auszuarbeiten. In der AG Naturraum von ANSEV/ZKS wird das Wissen vieler genutzt, um diese Alternativen zu erarbeiten, auszuformulieren und in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs einzubringen.

  2. Danke Oliver Tripp für die sehr feine Beobachtung und den ausführlichen Bericht. Schade, dass in dieser – dem Thema Strukturwandel und Umgang seitens der Institutionen -angemessenen Tiefe die regionale Presse nicht berichtet, sondern nur an der Oberfläche kratzt.

    Ja, es besteht große Kritik am Prozess und vor allem der eigentlichen Ausrichtung der Bürgerbeteiligung. Und es ist gut und richtig, diese bei solchen Veranstaltungen, wie der Revierwerkstatt zu äußern – viel mehr Gelegenheiten gibt es ja aktuell im persönlichen Gespräch nicht. Schade nur, dass die Verantwortlichen, wie Minister Pinkwart, der Geschäftsführer der Zukunftsagentur oder Bürgermeister der Anrainerkommunen durch Abwesenheit glänzten. So entsteht automatisch der Eindruck, die Bürgerbeteiligung sei – ganz im Gegensatz zum Stakeholderdialog mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kommunen und Institutionen – ein notwendiges Übel, dem man mit geringstmögliche Aufwand begegnet.

    Bei aller angebrachten Kritik gibt es aber auch positive Erkenntnisse: Das Gros der Projektmanager der Zukunftsagentur war sehr aufgeschlossen, unterstützend und an der vorhandenen Expertise der Zivilgesellschaft sehr interessiert. Das ist ein wichtiger Fortschritt, denn hier fanden durchaus Gespräche auf Augenhöhe statt. Danke dafür an die jeweiligen Menschen.

    Fazit: Die Revierwerkstatt ist ein kleiner Aufbruch. Damit die unterschiedlichen Akteure im Konflikt um die Kohle wieder zusammenkommen und gemeinsam ihre gemeinsame Zukunft gestalten, braucht es noch viel mehr. Tiefe, Begleitung, Empathie, Zuhören, Annehmen, Aufnehmen – also nicht nur Kopf, sondern Herz und Seele. Und es braucht einen langen Atem. Sehr langen.

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