Jeder singt für sich
Eigentlich wollte Eddi Hüneke an diesem Samstagnachmittag Anfang April in der Hürther Friedenskirche einen seiner Chorworkshops „Eddi plus Chor“ durchführen. Rund 100 Anmeldungen von Sängern und Sängerinnen habe er hierzu schon erhalten, schildert das Gründungsmitglied der A-cappella-Band „Wise Guys“ in einem Gespräch im Garten seines Hauses in Hermülheims Nibelungenviertel.
Es sei ja nun „alles anders“ gekommen, und neben der Anberaumung eines Ersatztermines für Probennachmittag und anschließendem Konzert am 29. August in der Friedenskirche habe er im Keller schon alle Vorbereitungen für eine virtuelle Chorprobe getroffen. Es sei hoffentlich ein „Ausgleich in dieser langweiligen Zeit“. Freilich eine Probe mit experimentellem Charakter, denn „Chorarbeit online“ könne man nicht wirklich anbieten, räumt Hüneke ein. Beim für das Singen erforderlichen Timing kämpfe jeder der beteiligten Rechner und Übertragungssysteme mit einer anderen Latenz, also Zeitverzögerung.
Die technischen Schwierigkeiten habe schon ein erstes Experiment mit einem kleinen Chor aus Kürten zu Beginn des Shutdowns aufgezeigt, schildert Hüneke. Da habe es außerdem viele Rückkopplungen gegeben, als alle ihre Mikrofone freischalteten. Da ein miteinander Singen also technisch unmöglich sei, versuche er zumindest die Illusion eines gemeinsamen Singens zu erzeugen, schildert Hüneke.
Wie das geht erfahren an diesem Nachmittag etwa 25 Teilnehmer, die sich auch paarweise von zu Hause eingewählt haben, viele nutzen die Webcam, um sich mit dem Chorleiter zu vernetzen. Hüneke sieht sie als mehr oder weniger scharf gezeichnete Gesichter auf dem Bildschirm seines Laptops, das er an der Tastatur seines Keyboards aufgebaut hat.
„Hallo Bernd, Kathi, Pia, Maria, da kommen plötzlich ganz viele“, bemerkt Hüneke. „Ah, ich hör was, wunderbar“, meldet sich eine Frau zu Wort. Bevor die Gesangsstunde los geht, beantworten die Teilnehmer aus Hürth, aus Düsseldorf, aus Köln gleich noch einen eingeblendeten Fragenkatalog. Die wohl wichtigste Information für den Chorleiter: es sind viele Sopran-, einige Altstimmen, nur wenige Bassisten und kein Tenor online: „Na, eben das übliche Bild in Chören.“
„Keiner kann euch hören, keiner braucht sich zu schämen.“
Eddi Hüneke bei der virtuellen Chorprobe im Lockdown
Wie scheußlich es sich anhört, wenn alle bei offenen Mikrofonen die Liedzeile „Doch dieser Engel ist da/ um dich zu schützen und zu halten…“ aus einem alten „Wise Guys“-Song singen, hat Hüneke schnell mit einer Einstellung in der Konferenzsoftware demonstriert. Und so meckert auch keiner seiner „Versuchskaninchen“, als er verkündet, „ich muss euch stummschalten, das klingt gemein“. Das heiße aber auch: „Keiner kann euch hören, keiner braucht sich zu schämen.“
Stumm schalten, nur mit diesem Trick kann die Illusion eines gemeinsamen Singens funktionieren, hat Hüneke herausgefunden. Ein einstmals für ein anderes Chorprojekt vierstimmig aufgenommenes Backingtrack von „Ein Engel“ muss für diesmal die Chorstimmen für jeden einzelnen ersetzen. Zusätzlich hören die Teilnehmer Hünekens Gesang und sein Keyboard, wenn er die Töne für den Engel-Refrain Stimmlage für Stimmlage mit den Workshopteilnehmern durchgeht, mal abgesehen vom fehlenden Tenor.
Für Rückmeldungen und Einzeldialoge können sich die Teilnehmer mit Drücken der Leertaste zuschalten. Da meldet sich Uwe zu Wort: „Meine Frau neben mir ist zu laut.“ „Da ist ein Regler am Ohr, um sie leiser zu stellen“, scherzt Hüneke. Alexander fragt nach dem Takt für den ersten Refrain, Beate ist der Rhythmus nicht ganz klar. „Ich bin überfordert“, fasst sich eine mit beiden Händen an den Kopf. „Es macht gerade richtig Spaß“ meldet eine andere zurück. Das Rhythmusgefühl eines jeden einzelnen kann Hüneke noch unter Zuschaltung eines Metronoms schulen. „Ich übe gerne mit Metronom, ein Superinstrument um rhythmisch präziser zu werden“, wirbt er für den vielfach ungeliebten Rhythmusgeber.
Und spenden sich die Teilnehmer nach dem Durchsingen des Liedes zum Schluss auch gegenseitig Applaus und bekräftigen die Lehrstunde mit „es hat doch Spaß gemacht“. So zieht Hüneke zum Ende der „historischen Stunde“ doch ein ehrliches Fazit: es sei nämlich „total bescheuert“ sich nur zu „erahnen“, statt sich in einem Raum „zu hören und zu sehen“.