Tastenmann Marcus Schinkel – ein Grenzgänger zwischen Rock und Klassik


Es waren abenteuerliche Zeiten als Rockmusiker wiederholt die Grenzen zur Klassik überschritten. Genau vor 50 Jahren, am 26. März 1971, spielte die Band Emerson, Lake & Palmer ihr Album „Pictures at an Exhibition“ (you tube link), live in der New Castle City Hall ein. Keith Emerson ist da beständig grinsend im knappen, bläulich glitzernden Jackett auf sonst freiem Oberkörper in Aufnahmen zwischen seinen Instrumenten zu sehen, eine Hand auf dem Keyboard des Moog-Synthesizers, die andere auf der Hammondorgel.

Mit damals neuartigen elektronischen Moog-Sounds – Emerson war der erste, der das Instrument in Livekonzerten zu seinem Markenzeichen machte – und der Hammondorgel, Clavinet aber auch einer traditionellen per Luftstrom intonierten Orgel fürs Intro und eben E-Bass, Akustikgitarre, Gesang und Schlagzeug interpretierten Keith Emerson, Greg Lake und Carl Palmer den Stoff des Russen Modest Mussorgsky in nie zuvor gehörter Art und Weise. Keith Emerson, so lautet die Geschichte, habe eine Aufführung des Orchesterwerks Jahre zuvor gehört und gesehen.

Jetzt sahnte der Keyboarder Marcus Schinkel mit der Formation „Voyager IV“ mit einer zeitgenössischen Auffassung des Stoffes den Preis der „Besten deutschen Rockband“ ab.

„Was bleibt von der damals bahnbrechenden Einspielung? Wie kann man aktuell eine Kombination aus Klassik und Jazzrock zeitgemäß darstellen?“

Keyboarder Marcus Schinkel

Der tragbare Plattenspieler

Schallplatten beider Werke, Klassik wie Progrock, schafften es in den späteren 1970er Schuljahren sogar bis in meinen Musikunterricht, auf einen tragbaren Plattenspieler mit Monolautsprecher im Deckel auf dem Lehrerpult.

Das ELP-Werk landete kurz nach Erscheinen in den UK- und US-Charts unter den ersten Zehn. Weitere Adaptionen der Suite gaben später der japanische Pionier elektronischer Musik, Isao Tomita, und die deutsche Formation „Tangerine Dream“ mit Edgar Froese zum Besten, die deutsche Heavy-Metal Band „Mekon Delta“ tat ihr übriges.

Was bleibt?


„Was bleibt von der damals bahnbrechenden Einspielung? Wie kann man aktuell eine Kombination aus Klassik und Jazzrock zeitgemäß darstellen?“, hat sich der Bonner Pianist und Keyboarder Marcus Schinkel gefragt. Mit seiner Formation „Voyager IV“, Johannes Kuchta, Gesang und Percussion, Fritz Roppel am Bass, Schlagzeuger Wim de Vries Musikern aus Nordrhein-Westfalen und Holland, geht Schinkel genau diesen Fragen nach und hat eine CD veröffentlicht namens, wie könnte es anders sein: „Pictures at an Exhibition“. In Live-Mitschnitten aus dem August 2020 ist außerdem Gasttrompeter Gregor Groß in lyrischen Passagen zu hören.

“Baba Yaga“ Solospiel auf der Keytar. Eigentlich hatte Markus Schinkel Gitarrist werden wollen, bis er Jon Lords Hammondorgelsound kennenlernte, verstärkt in den Röhren eines Gitarrenverstärkers. Foto: Klaus -Jürgen Krah

Laserharp und Theremin


„Als neuartige Instrumente benutze ich die von Jean-Michel Jarre
entwickelte Laserharp, sowie ein Theremin, das ich mit einer Spielzeug MP
spiele, aus der in ELP’s ,Lucky Man‘ (seht selbst Link zum You Tube Video) Blumen wachsen“, beschreibt der als „Best German Keyboarder“ preisgekrönte Musiker. Emerson habe im Stück ein Armeemesser benutzt, um auf der Hammondorgel zwei Tasten
zu fixieren, auch ein Ausdruck der rebellischen 70er im Antikriegssong.

In den Songs von „Voyager IV“ gibt es Orchestersamples von Mussorgsky, aber auch Zitate der Jazzrocklegenden Chick Corea, George Duke und Joe Zawinul seien zu hören. Übrigens Gitarren sucht man in der Prog-Rock-Aufnahme vergebens.

Grenzgänge zwischen Jazz, Klassik und Rock

Für seine Crossover-Grenzgänge zwischen Jazz, Klassik und Rock ist Marcus Schinkel bekannt. Im Beethoven-Jahr war er mit eigens für sein Trio arrangierten Kompositionen des Meisters live zu hören, er gilt als einziger Musiker, der alle neun Beethoven-Symphonien in auf Zuruf in Jazzimprovisationen verarbeitet. Ich habe ihn erstmals im Duospiel mit dem Gypsie-Jazz-Gitarristen Joscho Stephan am Tagebaurand gehört (hier ist der Link zur Konzert-Nahbesprechung).

Als Astronauten einer Klangmaschine im All zeigt das Cover die Band Voyager IV.

Hier ist das Link zum Album, zu hören bei Spotify.

https://open.spotify.com/album/3MNClRRbl20pKlxw0H6Q3V?si=4mwkckrTQCudt0Zc21dC1g

Marcus Schinkel spricht hier selbst von Einflüssen und Zitaten, die seine Ideen zum Album beeinflusst haben. Es sei ein Album, dass alle seine Einflüsse im Rock und Jazzrock zusammenbringe!

1- Promenade I : ich wollte mit 15 Jahren eigentlich Gitarrist werden, bis ich Jon Lord von Deep Purple hörte, der seine Hammondorgel durch einen Gitarrenverstärker jagte. Diesen Sound fand ich kraftvoll und gewaltig. Später kam als Einfluss noch der britische Gitarrist Allan Holdsworth dazu. Diese beiden Einflüsse habe ich ein wenig im Solo verarbeitet.

2 -Samuel Goldenberg & Schmuyle (From My Point Of View), dazu Sänger Johannes Kuchta: „Das Bild ,Goldenberg und Schmuyle‘ von Hartmann aus dem Jahr 1873, beschreibt stellvertretend für alle Menschen als Gegensatz einen sehr armen und einen sehr reichen
Menschen. Wir haben den Blick auf die Menschheit aus etwas größerer Entfernung angesetzt: ein Astronaut schaut aus der Luke seines Raumschiffes auf die Erde. Für Marcus und mich, wir mögen beide gerne Science-Fiction, hat der Blick auf die Erde von außerhalb etwas sehr Faszinierendes. Diese Distanz thematisieren wir im Song.“ Zudem sei es eine Hommage – wie auch schon bei Mussorgsky  – an jiddische Musik.

3 – Gnomus : am Ende wird es funky! Das Solo habe ich mit einem Hohner Clavinet eingespielt, zu den einflußreichsten Keyboardern der 70er und 80er des Funkjazzrock gehörten George Duke und Herbie Hancock, deren Ideen hier einfließen.

4- Il Vecchio Castello (Photophobia): Hier beschreibt Sänger Johannes Kuchta eine Geschichte aus seiner Vergangenheit, bei der er aus einer vorübergehenden Erblindung langsam wieder sehen gelernt hat. Dies ist einer der wenigen Songs über eine Krankheit geworden, und beschreibt auch die positiven Aspekte, dass sich zum Beispiel das Hören nach Verlust des Sehens stark verbessert und sich durch eine Einschränkung andere Möglichkeiten auftun.

5 – Promenade II (From The Land Of Feathers): man hört das Zitat und meine Verbeugung durch den Sound: Joe Zawinul ist hier gemeint!

6 – Tuileries: live haben wir am Anfang bei Livekonzerten  ELP’s „Karn Evil, 2nd Impression“ gespielt, ein sehr komplexes, virtuoses Jazzrockstück von Keith Emerson. Daraus habe ich diese Version der Tuileries (ein Park in Paris/Frankreich) entwickelt.

7 – Bydlo (The Bullock Cart): ein Progrockstück über einen Ochsenkarren -welche Band kann das schon vorweisen. Natürlich kann man den Karren auch als Sinnbild nehmen, hört selbst!

8 – Lucky Man: Wie wird man diesem bekannten ELP- Song gerecht? Was sind seine Wurzeln? Es ist erst einmal ein Anti-Kriegssong, den Greg Lake als Jugendlicher geschrieben hat. Wir zeigen zwei Welten in zwei verschiedenen musikalischen Teilen:
die heile Welt in leichtem, verspielten Sound und die dunkle Kriegswelt, gespickt mit einem Auszug aus einer Nixon- Rede.

10 – Baba Yaga: das Stück spiele ich live auf der Keytar (das deutsche Unwort ist ja Umhängekeybard, uuuaaahh) der Großmeister des verzerrten Keyboardsounds und der Keytar ist Jan Hammer

11/12 – Great Gates Of Kiev und Talk to the Wind: SUPERTRAMP – einer der wenigen Pop/Rockbands, die ohne viel Gitarren auskamen. Hast du es bemerkt? Auf unserem Album sind keine Gitarren, das ist eines der Konzepte unserer Band trotz des Progrock- Genres. Diese Lyrik des Klavierspiels von Roger Hudson und Rick Davies haben mich sehr in meinem Spiel geprägt.

Preisgekrönt

Ende 2020 ist „Voyager IV“ mit der Einspielung „Pictures at an Exhibition“ zur „Besten Deutschen Rockband“ im 38. Deutschen Rock & Pop Preis gekürt worden. 

Im dazu eingesendeten Gewinnervideo zeigt sich die Band in einem flammenden Plädoyer für den Erhalt unserer Innenstädte, dem teils staatlich verordneten Online-Jedöhns zum Trotz, in „Limoges“. Mussorgskys hatte eine musikalische Entsprechung für den kommunikativen Wert des Marktes, mit Neuigkeiten und Klatsch, in der französischen Stadt gesucht.

Live könnte man die Band auch mal sehen, bisher steht noch ein Auftritt in der „Night Of The Prog“ im Loreley-Amphitheater in St. Goarshausen am Sonntag, 18. Juli 2021.

weitere Links:

www.marcus-schinkel.de

Video Live 2020@Stoeffelpark: https://www.youtube.com/watch?v=2W52Hh7JwM0

Liveshow -Trailer: https://vimeo.com/225986990

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