Beim Abtransport ging es um Zentimeter
Zum Abschied von der Milchbar am Samstagabend herrschte Volksfeststimmung am Kaufhof vor der Absperrung zur Carl-Schurz-Straße. Kostenlose Getränke und Häppchen servierte hier der Landschaftsverband Rheinland. Musiker Charly Manderscheidt spielte Rock ‚n‘ Roll, die Beatles und was zum Schunkeln. Herbert Poetes, der als Vorsitzender der Museumsgesellschaft damals dem Leiter des Freilichtmuseums, Josef Mangold, den Impuls zum Erhalt der Milchbar gab, tanzte mit Elke Feuster Jive.
Zeitzeugen erinnerten sich.
Wolfgang Engel erzählte mit 13 oder 14 nach der Schule dort heimlich die ersten Milchmixgetränke mit alkoholischem Schuss getrunken zu haben. Der 47-jährige Rocker Köbes Holz fuhr mit seinem Bike vor. Beim letzten reichlich belesenen Wirt Mike Smith, hätten er, seine Frau Brigitte und 20 weitere Biker, „wir fuhren alle Harleys“, eine „geistige Heimat“ gefunden. Der habe eben ein Herz für Outlaws gehabt. „Lärm ohne Ende“ schimpfte noch am Abend ein Anwohner über den Klang der schweren Maschinen.
Auch Marie Trimborn, die oft Stunden mit Mike Smith in ihrem Garten nebenan verbrachte, dachte an den Wirt, der noch viele Liverock-Konzerte in seiner Milchbar organisieren wollte, so wie sein letztes Ende 2017 mit „Birger Devil“.
„Der Volksfestcharakter und die vielen kleinen Geschichten zeigen uns, dass die Leute am Haus hängen. Wir haben in unserem Museum bald etwas, das ihnen wichtig ist“, freute sich Museumsleiter Josef Mangold. Über die Kosten des Umzugs, wollte er nicht reden, nur soviel: die Rücklagen für solche Projekte sei jetzt aufgebraucht.
Zeitdokument aus dem Nachkriegsdeutschland
Wie aufwändig die Rettung der Milchbar als Zeitdokument aus dem Nachkriegsdeutschland ist, machte noch einmal der Abtransport in der Nacht deutlich. Wer klug war, sicherte sich noch vor der Absperrung einen Logenplatz in der italienischen Gastwirtschaft von Luigi Ottavio gegenüber. Von dort ließ sich der Aufbau zweier mächtiger Kräne, und dann das Duett der zwei Kranführer Hans-Peter Vosen und Karol Matuszak am besten erleben.
Stahlseile hoben das Gebäude auf einem Gerüst aus Stahlträgern ruhend über die Fahrbahn der Carl-Schurz-Straße. Der Schwerlasttransporter fuhr im Rückwärtsgang unter das schwebende Paket. Ein Vorgang, der sich über Stunden erstreckte. Wirklich spannend waren zwei Fragen. Bleibt die Milchbar beim Anheben vielleicht am Nachbargebäude hängen? Und: gibt der Mann von der Dekra wirklich den Transport frei?
Tische, Stühle und Billardtisch im Inneren gesichert
Wer glaubte, dass das Gebäude am Haken der zwei Kräne bis aufs Mauerwerk geleert war, der täuschte sich. Tische, Stühle und Sessel oder der Billiardtisch, der im viel später konstruierten Anbau Platz fand, haben die Zimmerleute der schwäbischen Spezialfirma JaKo so befestigt, dass selbst bei einer Bergfahrt nichts ins Rutschen kommen kann, so wie beim Anstieg mit 20 Prozent zum Museumstor in Kommern.
Überhaupt findet sich im Schankraum alles mögliche, was für eine spätere Rekonstruktion von Wert sein könnte, von der UKW-Dachantenne bis hin zur Reissdorf-Leuchtreklame, Regenschirm oder einem feinborstiger Stubenbesen. Zur Hoftür hin findet sich sogar noch das Schlüsselbrett mit einer Vielzahl von Schlüsseln, die einem Hotel zur Ehre gereicht hätten. „Alles bleibt im Orignalzustand“, sagte Vorarbeiter Tobias Rosenstengel.
Professionell verpackt
Die letzten Handgriffen zum Verladen des Gebäudepakets auf das Schwerlastfahrzeug hatten die vier Zimmerleute der Jako-Baudenkmalpflege aus dem oberschwäbischen Rot an der Rot bei Memmingen schon am Freitag erledigt. Sie verschraubten die neun Meter langen, stählernen Doppel T-Träger auf fünf ähnlich starken Trägern, die das Gebäude in der gesamten Breite auf 7,40 Meter durchziehen. Zwischenräume zwischen Boden und Stahl fütterten die Zimmerleute noch mit Hölzern auf, damit der Estrich beim Anheben nicht doch noch herausfallen konnte.
Ansonsten war die Milchbar von einst nicht wiederzuerkennen, denn sie trat die Reise ohne Dach und professionell verpackt an. Mit Hölzern und Tafeln war sie rundherum ausgesteift worden.
Auf ein Gewicht von 86 Tonnen sei Transportpaket berechnet worden, erläuterte Rosenstengel, wirklich maßen die Kranführer am Abend 65 Tonnen. Nur, einen Meter breiter hätte das Gebäude nun wirklich nicht sein dürfen, dann wäre ein Transport in einem Stück einfach nicht mehr möglich gewesen, so der JaKo-Vorarbeiter.
Schon jetzt reizte der historische Gebäudekern der Milchbar die eingeschränkten Dimensionen der Carl-Schurz-Straße bis ins Letzte aus. Drei Bäume hatten dem Transport schon weichen müssen. Zwischen Bäumen und Fassaden und in der engen Kurvenfahrt am Bahnhof ging es am frühen Morgen um Zentimeter.
2 Antworten auf „Abschied von der Brühler Milchbar“