Den Wald und flüchtige Installationen setzte Hubert Perschke im Hambacher Forst in Szene
Wenn Hubert Perschke „die Dicke“ in den Wald mitnimmt, bettet er sie auf dem Dunkeltuch in die Ladefläche seines Kombis. „Die Dicke“ nennt der Fotograf seine Fachkamera. Sie bringt einiges Gewicht auf die Waage und an Größe übertrifft sie deutlich ihre kleineren Artgenossen. Einmal auf das Stativ montiert, lässt sie sich bequem über der Schulter mit dem umgebastelten Werkzeugkoffer in der freien Hand über kurze Entfernungen tragen.
Den Baum, den er heute fotografieren will, braucht Perschke nicht zu suchen, er weiß, in welcher Ecke des Hambaches Forstes er ihn findet. Schon vor dem eigentlichen Aufnahmetermin habe er sich mit seinem Fotomotiv auseinandergesetzt: „Ich muss vorher im Kopf haben wie das Ergebnis aussehen wird.“ Allenfalls dem Lichteinfall räumt Perschke dann noch eine gewisse Zufälligkeit ein. Für schnelles Herumprobieren, das Sammeln fotografischer Eindrücke oder gar schnelle Schnappschüsse sei die Fachkamera nicht geeignet. All das, was heute das Fotografieren erleichtern soll, sucht man vergebens: Sucher, Zoomobjektiv, Belichtungsmesser, Farbdisplay oder Autofokus.
„Zeit, Muße und Überlegung“ räume er der langsamen Herangehensweise ein, so Perschke. Allenfalls sechs lichtdichte Kassetten, geladen mit Schwarzweiß-Planfilm in der Größe 4×5 Inch nimmt Perschke mit. Filmmaterial für maximal zwölf Aufnahmen, meistens komme er mit weniger aus. Das nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Kosten des Filmmaterials, das nur noch wenige Hersteller liefern und die anhängende, aufwändige Dunkelkammerarbeit.
Darum muss jeder Handgriff sitzen. Unter dem Dunkeltuch sucht Perschke bei offenem Objektivverschluss auf der Mattscheibe seinen Baum. Die zeigt ihm sein Motiv seitenverkehrt und auf dem Kopf. Mit der Lupe bestimmt er auf der Mattscheibe die Schärfe, indem er über einen Feintrieb den Abstand der Standarten anpasst. Mit dem Handbelichtungsmesser misst er Schatten und Lichter aus. So bestimmt er schon jetzt den zu erwartenden Kontrastumfang des Negativs und die dafür erforderliche Entwicklungszeit des Negativs im späteren Entwicklerbad.
Dann schließt und spannt er den mechanischen Verschluss am Objektiv, stellt die abgelesene Belichtungszeit ein, die oft in die Sekunden oder gar Minuten geht, und die Blende. Er schiebt eine Planfilmkassette zwischen Halterung und Mattscheibe, öffnet einen Schieber an der Filmkassette und löst den Verschluss per Drahtauslöser. Erst wenn das mechanische Sirren des Kameraverschlusses mit einem Klicken verstummt, er den Schieber wieder vor das belichtete Negativ zieht, ist die Aufnahme sicher im Kasten.
„Wer richtig kochen will, der muss eben alles, was man braucht, selbst organisieren: frische Zutaten, die richtige Küchenausstattung und ein bisschen handwerkliches Geschick.“
Hubert Perschke
Mittels seines Vergrößerers aus den 1950er Jahren in der Dunkelkammer auf Fotopapier, aber auch mit gescannten Negativen am Bildschirm erstellt Hubert Perschke so Schwarzweiß-Aufnahmen, die jeder Zufälligkeit entbehren. Sie lenken in Baumportraits und Landschaften den Blick auf die Schönheit der Reste des vom Braunkohlenabbau gefährdeten Hambacher Forstes. Abseits von fotojournalistischer Sensationslust zeigt er auch die immer menschenleeren Barrikaden der Waldbesetzer. Auf seinen hochauflösenden Fotos zeigt er sie wie ästhetische Inszenierungen, wie Kunstinstallationen in der Landschaft, die des Nachdenkens bedürfen.
Als „Tütensuppe“ bezeichnet er die heute gepflegte digitale Fotografie, mit einem breiten Grinsen. „Wer richtig kochen will, der muss eben alles, was man braucht selbst organisieren, frische Zutaten, die richtige Küchenausstattung, und ein bisschen handwerkliches Geschick“, scherzt der 70-jährige gerne.
Das Fotografieren hat er gelernt. Mit zehn Jahren habe er seine erste Agfa-Box mit Rollfilm geladen und mit der Kamera beobachtet, was um ihn herum mit Freunden und in der Schule passierte, erinnert sich Perschke. Ein Fotolaborant habe sein Auge mit Ausschnittvergrößerungen geschult, die ihn auf das Wesentliche seiner Aufnahmen gelenkt habe. Mit 19 Jahren gewann er den ersten Preis im Förderwettbewerb des Ruhrlandmuseums mit Szenen aus dem Ruhrpott: Kinder, Arbeiter und ihre Wohnungen in der Industrielandschaft mit Schloten und Fördertürmen. Er habe damals Fotostudenten der Folkwangschule überrundet, die später bekannte Fotografen werden sollten, sagt Perschke ein wenig stolz. Nur als reiner Fotograf habe er sich nie verstanden, sondern immer als „fotografierender Sozialwissenschaftler“. Seinen Beruf fand er nach dem Studium in der Erziehungshilfe.
Eine Selbstauffassung, die sich in den Fotoarbeiten der letzten Jahre widerspiegelt. So dokumentierte er in der Ausstellung und dem Buch „Mein Manheim“ 2013 die Aussagen der Bewohner des Umsiedlungsortes ergänzend zu seinen Bildern. Er fand Zugang zu autistischen und verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen in der heilpädagogischen Einrichtung der Stiftung „Die Gute Hand“ in Kürten Biesfeld für eine Wanderausstellung. Oder portraitierte für ein im Selbstverlag herausgegebenes Buch Obdachlose auf der Straße.
In der Wanderausstellung „Das Stöhnen der Erde hören“ der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität setzt er sich kritisch mit dem Braunkohleabbau im Hambacher Forst auseinander. Als Mitglied der Bürgerinitiative „Buirer für Buir“, wo er lange Jahre wohnte, beobachtet der heutige Girbelsrather seit langem den Widerstand im Hambacher Forst mit der digitalen Spiegelreflexkamera. Eine Ausstellung mit dem Titel „Bilder aus dem Revier“ hat er konzipiert. Auch hier setzt er sich kritisch mit der Braunkohle auseinander. Dabei gehe es ihm nicht um Aktionismus, vielmehr setze er auf Information und die Kraft seiner visuellen Botschaften, sagt Hubert Perschke.
2 Antworten auf „Die schwarzweiße Schönheit der Bäume“